
Portraitfotografie: Tipps für beeindruckende Portraitfotos
Das perfekte Portrait - ein kompakter Ratgeber zur Portraitfotografie
Portraitfotografie gilt für viele Fotograf*innen zur Königsdisziplin des Fotografierens. Schließlich erfordert ein gelungenes Portrait nicht ausschließlich ein gutes Auge und technische Fertigkeiten, sondern auch zwischenmenschliche Skills beim Umgang mit den Models. Ein Portrait hat nicht nur die Aufgabe, das Aussehen des Motivs technisch präzise wiederzugeben, sondern soll auch die Seele und den Charakter einfangen.
Die besten Portraitaufnahmen können aus dem Bild ausbrechen und alle Betrachtenden in ihren Bann ziehen. Dieser Ratgeber liefert einen Überblick darüber, wie ein atemberaubendes Portrait entsteht - von der Ausrüstung über die Vorbereitung und die Session selbst bis hin zur Nachbearbeitung.
Technische Grundlagen der Portraitfotografie - Ausrüstung, Belichtung, Fokus
In der Portraitfotografie zeigen sich die Unterschiede zwischen den Kameras (und vor allem der Sensorgröße) vielleicht am deutlichsten.
Kleinsensorige Kameras (mit einem Micro 4/3"-Sensor etwa) können Gesichter verzerren und verflachen, wenn sie nicht mit den richtigen Objektiven kombiniert werden, welche die Sensorgröße kompensieren.
Das Wechselspiel zwischen Sensorgröße und Brennweite wird hier einen entscheidenden Unterschied machen.
Viele Zoomoptiken, die für Landschafts- oder Streetfotografie bestens geeignet sind, liefern bei Portraits nicht die gewünschten Resultate.
Im Idealfall sollten Portraitfotograf*innen eine DSLR oder Systemkamera mit Vollformatsensor (wie die Sony AIV) nutzen oder zumindest APS-C-Kameras mit passenden Objektiven. Dies hilft auch bei der Freistellung des Motivs durch einen Hintergrund, der im Bokeh versinkt.
Das richtige Objektiv für Portraits
Eine gute Portraitoptik liefert nicht nur scharfe Ergebnisse, sondern auch eine angenehme sphärische Verzerrung des Motivs.
Schließlich ist es eine künstlerische Entscheidung, ob ein Gesicht eher plastisch hervorgehoben (24-35mm), natürlich abgebildet (50mm) oder aber flacher gezeichnet (85-105mm) werden soll.
Eine Optik, die für Portraits blendend geeignet und flexibel ist, ist 50mm (Canon RF 50mm 1.8 STM).
Diese Normalbrennweite ist ausgezeichnet für Portraits in verschiedenen Einstellungsgrößen (Nähe zum Model) und besitzt einen weiteren Vorteil: sie ist recht günstig.
Eine 50mm-Festbrennweite verbaut weniger Glaselemente als andere Festbrennweiten, es gibt sehr günstige Modelle für Einsteiger:innen und professionellere 50mm-Optiken können gebraucht sehr erschwinglich sein.
Diese Investition in eine Festbrennweite wird sich wirklich lohnen, nicht nur für Portraits.
In der Portraitfotografie bietet eine Prime Lens (so der englische Begriff für Festbrennweiten) einen weiteren Vorteil, die maximale Blendenöffnung ist hier wesentlich weiter als bei Zoom-Objektiven.
Das Zusammenspiel aus Blende, Belichtung und ISO in der Portraitfotografie
Diese maximale Blendenöffnung - f1,4 oder f1,8 ist für Portraitoptiken eher Usus - ermöglicht Fotograf*innen bei der künstlerischen Gestaltung mehr Freiheit.
Natürlich sollte das Fotografieren mit weit offener Blende die Ausnahme bleiben, Optiken verlieren hier an Schärfe und der Fokus geht oft verloren.
Doch selbst im recht offenen Bereich zwischen f2,4-f3,2 sind Portraitobjektive knackig scharf und behalten ein elegantes Bokeh.
Das Resultat ist eine Freistellung des Hintergrunds durch eine sehr flache Schärfentiefe, was im Foto einen Fokus auf das Motiv erlaubt.
Selbst suboptimal Hintergründe lassen sich so problemlos freistellen und Momente wirken wie in der Zeit eingefroren.
Bei der Belichtungszeit sollte eine einfache Grundregel befolgt werden: Belichtungszeit = mindestens doppelte Brennweite.
Konkret bedeutet dies also für 50mm ein Minimum von 1/100s.
In der Praxis sollte dieser Wert durchaus noch einmal unterschritten werden, da eine kurze Belichtungszeit Bewegungen aus der Hand der Fotografierenden wie auch des Models kompensieren muss.
Gerade an windigen Tagen führt eine kurze Belichtungszeit oft zu spektakulären Aufnahmen, in denen Haare und Kleidung szenisch eingefroren werden.
Models können sich zudem freier bewegen und jede Aufnahme wird zu einem winzigen Stück Zeit, das der Session entnommen wurde.
Was mit Filmaufnahmen nahezu unmöglich war, erweist sich als einer der großen Vorteile der Digitalfotografie: ein wesentlich liberalerer Umgang mit der Menge an Bildern.
Beim ISO sollten Experimente eher ausbleiben. Portraitfotograf oder Portraitfotografin, ob Amateur oder Profi, bleiben hier am besten beim Native ISO-Wert der Kamera oder halten diesen zumindest so niedrig wie möglich.
Bildrauschen im Hintergrund ist ärgerlich genug, in Hauttönen ruiniert es auch ansonsten ästhetische Aufnahmen.
Zubehör für besseres Licht bei Portraitshootings
Für mehr Kreativität in der Portraitfotografie können zudem Hilfsmittel wie Reflektoren und Lichter genutzt werden.
Gerade im Sonnenlicht ist ein Reflektor wie ein flexibler 5-in-1-Bounce ein wahrer Alleskönner und rückt Gesichter ins rechte Licht.
Dazu braucht es manchmal Assistenz, aber geübte Portraitfotograf*innen können einen kleinen Handreflektor auch selber nutzen.
Das ist nicht ganz so bequem und erfordert Übung, unmöglich ist es aber nicht.
Zu Lichtern, Softboxen, etc. gibt es weiter unten einen dedizierten Einblick.
Die richtige Cadrage - Portraitshootings und Bildkomposition
Was bei einem Portrait im Bildmittelpunkt steht, ist selbstverständlich.
Das Model und vor allem die Augen liegen im Fokus eines gelungenen Portraits, doch natürlich sind der Kreativität in der Portraitfotografie keine strikten Grenzen gesetzt.
Die Regeln der Bildkomposition können kreativ eingesetzt werden, um einen eigenen Stil und eine passende Bildsprache für Model, Session und Stimmung zu finden.
Nur etwas Grundsätzliches: Bei Portraits ist generell von einer vertikalen Aufnahme auszugehen, zwar kann auch ein horizontales Foto ein spannendes Portrait erzeugen, doch es hat seine Gründe, dass die beiden Foto-Ausrichtungen im Englischen Portrait und Landscape heißen.
Hier einige Beispiele:
Linienführungen - Vor allem, wenn auch nicht ausschließlich, in architektonisch eindeutigen Settings kann die Linienführung des Hintergrundes eingesetzt werden, um den Blick auf die Augen des Motivs zu richten.
Ganz klar ist dies eine Frage der perfekten Positionierung.
Auch die Vignettierung eines Objektivs oder eine natürliche Farbvignettierung (eine dunkle Wand hinter dem Motiv) erfüllt einen ähnlichen Zweck.
Der Blick der Betrachtenden wird elegant geleitet.
Rule of Thirds - Bei der Drittelregel wird das Bild in drei horizontale und drei vertikale Drittel unterteilt.
Digitale Kameras können auf Wunsch auch ein Gitter über das Display oder den digitalen Sucher legen (Letzteres geht bei DSLRs selbstverständlich nicht) und unterstützen so die technische Bildkomposition.
Bei einem zentrierten Portrait sollten die Augen des Motivs auf der oberen horizontalen Linie platziert werden, um eine ästhetisch ansprechende Komposition zu erzeugen.
Ist das Portrait nicht zentriert, sollte der Schnittpunkt zwischen der oberen horizontalen und einer vertikalen Linie als Fokuspunkt des Bildes dienen.
Die Bildmitte - Ein natürlicher Blickfang ist die Bildmitte eines jeden Bildes.
Das kann sehr viel Spannung erzeugen, aber ist nicht für jedes Portrait bestens geeignet, da hierdurch vergleichsweise viel Headspace entsteht.
Dieser leere Raum über dem Kopf des Motivs kann ein Stilmittel sein oder wie ein Kompositionsfehler wirken.
Bewusstsein hierfür und sparsamer Einsatz machen den entscheidenden Unterschied.
In schneller Folge oder langsam und entschieden
Je nach Fertigkeiten der Kamera und Bewegung des Motivs kann die Serienbildaufnahme eine gute Wahl sein.
Models, die sich schnell und frei bewegen sollen, können mit einer Serienbildaufnahme bestens eingefangen werden.
Fotograf*innen haben dann am PC oder Mac später die Qual der Wahl und sollten ausreichend Speicherplatz und schnelle SD-Karten auf die Sessions mitnehmen.
Zusammen mit einem präzisen Autofokus ist dies aber eine veritable Alternative zum manuellen Fotografieren mit ihren eigenen Vor- und Nachteilen.
Der Kontrast hierzu ist das Fotografieren im manuellen Modus und ohne Autofokus.
Bilder entstehen hier wie in Zeitlupe, jedes Foto ist eine bewusste Entscheidung und fordert Ruhe und eine klare Beschäftigung mit dem Motiv.
Natürlich sind dies die beiden Extreme, die sich durch Portraitmodus oder kurze Bursts abfedern lassen.
Und nicht jeder dieser Modi ist für jedes Setting bestens geeignet, Fotograf*innen sollten sich also ausprobieren und herausfinden, was für sie und die gegebenen Umstände die beste Wahl ist.
Die Session richtig gestalten - Tipps für die Portraitfotografie
Eine Portraitsession ist nicht einfach nur eine Fototour für die Fotografierenden, sondern lebt immer auch von der Spannung zwischen Fotograf*innen und Models.
Damit sich aus dieser Spannung eine professionelle Sicherheit gibt, die Models (ob Amateure, Profis oder Auftraggeber*innen unterschiedlichster Branchen) benötigen, um entspannt arbeiten zu können, ist auf Fotograf*innenseite Einiges an Vorbereitung nötig.
Dazu gehört auch das Scouten der passenden Locations.
Portraits über den Hintergrund denken
Im Portrait soll das Motiv im Vordergrund stehen, was jedoch im Umkehrschluss nicht bedeuten darf, dass der Hintergrund nur eine untergeordnete Rolle spielt.
Dieser hat die Aufgabe, das Bild plastisch zu erzeugen und die gewünschte Bildwirkung zu erzeugen.
Portraits für LinkedIn sollten nicht in einem verspielten Rosengarten bei Sonnenuntergang aufgezeichnet werden und ein Brautpaar dürfte inmitten eines Parkhauses recht verloren wirken.
Der Hintergrund ist ein wesentliches Mittel der Bildkomposition eines Portraits.
Für Fotograf*innen bedeutet dies vor allem, dass die eigentliche Arbeit schon vor dem ersten Foto beginnt.
Hintergründe, Motive und Locations müssen geschützt werden, gegebenenfalls sind auch Fotoerlaubnisse vonnöten.
Oft übersehen ist dabei der Stand der Sonne an einer Location. Bei den meisten Portraits ist Tageslicht die primäre (oder gar einzige) Lichtquelle, umso wichtiger ist ein Verständnis dafür, wie Sonnenlicht eine Location verändern kann und wann die Sonne perfekt steht, um die richtigen Schatten zu erzeugen oder dem Motiv als Haarlicht dient.
Vermieden werden sollte allzu harsches Tageslicht, vor allem in den Mittagsstunden, in denen es unschön harsche Schatten erzeugt.
Doch auch die harschesten Schatten lassen sich gezielt einsetzen.
Die Golden Hour mit ihrer tief stehenden Sonne oder ein leicht bewölkter Tag mit der Wolkendecke als natürliche Diffusion sind besser geeignet, um auch ohne Hilfsmittel tolle Portraits aufzunehmen.
Auch Umgebungen wie Innenhöfe oder Straßenschluchten, in denen sich das Sonnenlicht auf ganz natürliche Art und Weise verspielt, sind für Portraitsessions prädestiniert.
Das Modell, die Lockerheit, die Kommunikation, die Führung
Keine zwei Models sind gleich und nicht jede*r ein natürliches Talent vor der Linse.
Wer den Luxus hat, Modelle für eine Session auszuwählen, kann bereits im Gespräch feststellen, ob sich die ästhetischen Vorstellungen kombinieren lassen.
Doch oftmals sind Portraits auch Auftragsarbeiten und dann entsteht automatisch ein gewisser Druck - sowohl für den/die Portraitfotograf*in wie auch für das Model.
Fotograf*innen mit einem größeren Portfolio sollten unbedingt bereits angefertigte Arbeiten vorzeigen, um besser kommunizieren zu können, wie die finalen Resultate aussehen sollen.
Haben Kund*innen bestimmte Vorstellungen, sollten Fotograf*innen diese nach einigen Moods fragen.
Meist haben Kund*innen zumindest vage Ideen und können auf Pinterest ein Moodboard erstellen.
Dies erleichtert die Vorbereitung und erspart Ärger nach der Session.
Eine gute Portraitsession, ob im Studio oder im Freien, beginnt nie mit dem ersten Foto.
Ein Kaffee, ein entspanntes Gespräch, ein wenig Smalltalk - all dies ist unglaublich hilfreich, um die Spannung aus dem Tag zu nehmen.
Und ein angespanntes Lächeln verrät sich sofort als solches.
Selbst mit vertrauten Menschen sollten Fotograf*innen sich etwas Zeit nehmen, um nicht sofort nach dem Treffen den Auslöser zu betätigen.
Models die richtige Pose finden lassen
Models in Posen und Gesichtsausdruck zu steuern, ist ein höchst diffiziles Feld, in dem selbst erfahrene und erfolgreiche Fotograf*innen nicht immer besonders gut sind.
Andere haben hingegen ein ganz natürliches Talent dafür und kommunizieren blendend, haben aber womöglich technische Defizite.
Zudem brauchen nicht alle Models eine präzise Führung.
Manche Fotomodelle brauchen eher etwas Freiraum, nachdem sie im Licht positioniert wurden, und müssen nur entsprechend eingefangen werden.
Eine Schwierigkeit der Portraitfotografie für Anfänger*innen erwächst aus genau diesem Spannungsfeld zwischen technischem Detail und künstlerischer Freiheit der Beziehung zwischen Model und Fotograf*in.
Zu unterscheiden sind technische Anweisungen wie die Position oder Haltung der Arme, um besser im Licht zu stehen oder Negative Space zu erzeugen und Weisungen bezüglich des gewünschten Ausdrucks.
Um etwas Schauspieltheorie von Konstantin Stanislawski zu entleihen: Der Ausdruck ist nicht die Arbeit des Modells, sondern das Resultat.
'Der Ausdruck erfolgt aus einem inneren Prozess, der sichtbar gemacht wird.
Ein Beispiel: "Schaue in die Ferne, spanne die Augen leicht an und spiele dir in den Haaren" und "Schaue in die Ferne, lass dich von der Sonne wärmen und denke in Vorfreude an deinen nächsten Urlaub" können sehr ähnliche Ausdrücke erzeugen.
In einem Fall wird das Modell aber wie eine Marionette geführt, im anderen Fall wird über ein inneres Bild ein sehr viel natürlicherer, spontanerer und unvorhersehbarer Ausdruck erzeugt.
Die Komplexität der zwischenmenschlichen Modellführung bei gleichzeitiger technischen Präzision und einem Blick auf Belichtung, Fokus und Komposition erfordert ein riesiges Maß an Übung und Erfahrung.
Eine echte Abkürzung oder einen Fotografie-Hack hierfür gibt es nicht.
Für Fotograf*innen erfordert es vor allem auch Offenheit und ein gutes Gespür dafür, wie sie mit unterschiedlichen Modellen in unterschiedlichen Situationen umgehen müssen.
Licht für die Studio-Portraitfotografie
Portraitaufnahmen in Innenräumen, vor einem Hintergrund oder in einem Fotostudio, benötigen in den allermeisten Fällen etwas Licht.
Studios haben meist eine Blitzanlage sowie einige Dauerlichter, so dass Fotograf*innen dieses "nur" noch richtig aufbauen müssen.
Doch auch für den heimischen Bedarf gibt es längst sehr budgetfreundliche Lichtlösungen für Portraits.
Das Gute am Portrait ist, dass nicht besonders viel Fläche belichtet werden muss und ein Reflektor oder eine Styroporplatte aus dem Baumarkt oft genau das richtige Fülllicht sind.
Die stärkste Lichtquelle sollte weich auf das Motiv fallen, also durch eine Diffusion wie eine Softbox.
Ein seitlicher Winkel erzeugt auf der Schattenseite des Motivs einen spannenden Schatten, der sich durch etwas Fill abschwächen lässt (was nicht immer nötig sein muss).
Eine harte Lichtquelle hinter dem Motiv kann als Haarlicht eine natürliche Trennung zum Hintergrund erzeugen.
Diese sehr einfache Belichtungstechnik nennt sich Dreipunktbeleuchtung. Natürlich können Lichter wesentlich diffiziler und in Folge beliebig komplex platziert werden.
Zu klassischen Lichtern für die Portraitfotografie zählen Spots mit Softbox (idealerweise mit runder Beauty Dish) oder anderen Lichtformern, um den Winkel des Lichtkegels einzuengen oder zu beschränken.Dies verhindert unerwünschte Schatten und Flares.
Kompatibilität mit Zubehör ist durch standardisierte Mounts wie den Bowens Type-S gewährleistet.
Interessante Alternativen finden sich indes in Stablichtern, die dank LED-Technologie auch RGB-Farben erzeugen können und die einen so niedrigen Energieverbrauch haben, dass sie auch mit Akkus im Feld betrieben werden können.
Lichtmatten mit anpassbarer Lichttemperatur können sogar flexibel um ein Motiv herum platziert werden und dienen so als kompaktes Book Light.
Lichtstative sollten unbedingt gedämpft sein, um Unfälle zu vermeiden. Mit etwas mehr Budget und Platz sind C-Stands eine lohnende Investition.
Fix it in Post - so geht Portraitretusche richtig
Apps wie Photoshop erlauben Fotograf*innen nach der Session ein nie zuvor da gewesenes Maß an Freiheit in der Nachbearbeitung und das hat Vorteile.
Doch es hat auch Nachteile: Nicht alles, was technisch möglich ist, sollte auch unbedingt umgesetzt werden.
Die Entfernung von Fusseln, Härchen, Makeln im Hintergrund und vor allem Hautunreinheiten, kann bis zur technischen "Perfektion" des Bildes betrieben werden.
Allerdings ist das Resultat eine perfekte Plastik und kein natürliches Portrait mehr, welches auch das Motiv wiedergibt.
Natürliche Portraitfotografie soll die Seele des Motivs einfangen und nicht eine technische Beliebigkeit replizieren.
Ein gutes Beispiel für diesen Exzess sind die Titelseiten von Wochenrundschauen, die die technischen Möglichkeiten der Retusche ausnutzen, aber obskur künstliche Portraits erzeugen.
Gute Fotoretusche wirkt immer natürlich und organisch und fängt all jene Makel ab, die während der Session übersehen wurden oder sich nicht fixen ließen.
Ein Zigarettenstummel auf dem Boden, ein Pickelchen, ein Passant im Hintergrund, ein sachtes Reframing - all diese Bearbeitungen halten ein Motiv natürlich und wahren die Ästhetik des tatsächlich aufgenommenen Bildes.
Farbe, Ästhetik und Fokus
Die Farbbearbeitung sollte genau wie das richtige Fokussieren bei der Aufnahme dem Zweck dienen, die Aufmerksamkeit auf das Motiv zu lenken.
Das Modell, das Gesicht, die Augen, all dies sollte sich gut vom Hintergrund lösen und Betrachter*innen sofort in den Bann ziehen.
Wie genau dies technisch erfolgt, hängt natürlich vom RAW ab.
Doch in der Regel hilft eine gezielte Anhebung des Kontrastes (etwa durch eine S-Kurve), ein gezieltes Reduzieren der Sättigung (in den HSL-Levels) und ein leichtes Anheben der Hauttöne, um diese zu akzentuieren.
Besonders elegant sehen Portraits natürlich immer in schwarz-weiß aus, besonders Gesichter wirken in monochromer Ästhetik zeitlos.
Hier ist es für Portraits umso wichtiger, nicht einfache die Sättigung zu entfernen, sondern über Schwarz-Weiß-Filter die Helligkeit der einzelnen Tonwerte bewusst zu platzieren.
Da Farbe hier als Gestaltungsmittel fehlt, ist der Kontrast umso wichtiger.
Kunst und Kreativität in der Portraitfotografie
Porträtshootings sind eine Kunst für sich, denn sie erfordern von Fotograf*innen technisches, künstlerisches und psychologisches Verständnis.
Das perfekte Foto kann einen Moment in der Zeit einfangen, das perfekte Portrait bindet den Charakter eines persönlichen Moments im Bruchteil einer Sekunde und erlaubt ein ewiges Verweilen in genau diesem Augenblick.
Das Spiel erfolgt hier nicht nur zwischen Fotograf*in und Kamera, sondern bindet eine weitere Person mit ein, was eine diffizile Spannung erzeugt. Diese Bereicherung richtig einbinden zu können, erfordert Übung und Einarbeitung.
Wenn das Spiel mit dieser positiven Spannung aber gelingt, können die Ergebnisse wahrhaftig spektakulär sein.